Tunesien
Die Mitgliedsorganisation des IGB in Tunesien ist die Union Générale Tunisienne du Travail (UGTT).
Tunesien ratifizierte 1957 das Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (1948) und das Übereinkommen Nr. 98 über das Vereinigungsrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen (1949).
Rechtslage
Vereinigungsfreiheit / Vereinigungsrecht
Vereinigungsfreiheit
Die Vereinigungsfreiheit ist in der Verfassung verankert.
Die Vereinigungsfreiheit ist arbeitsrechtlich geregelt.
Gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung
KEINE INFORMATIONEN VORHANDEN
Gesetzliche Hindernisse für die Gründung von Organisationen
- Verhängung von Strafen für die Gründung von oder den Beitritt zu einer nicht offiziell anerkannten Organisation
- Wenn es der/die Gründer/in, Vorsitzende oder Verwaltungsbeauftragte einer Gewerkschaft versäumt, die in Artikel 250 des Arbeitsgesetzes genannten Dokumente einzureichen, droht eine Geldbuße in Höhe von zwischen 30 und 300 Dinar. Ein wiederholter Verstoß kann eine Haftstrafe nach sich ziehen. (Artikel 257, Arbeitsgesetz)
- Beschränkungen des Rechtes der Gewerkschaften auf die Gründung von Ortsverbänden, Vereinigungen oder Dachverbänden oder auf den Beitritt zu nationalen oder internationalen Organisationen
- Das Arbeitsgesetz untersagt die Gründung einer Gewerkschaft als Sektion einer ausländischen Gewerkschaft mit einer nicht unabhängigen Verwaltung. (Artikel 253, Arbeitsgesetz)
Beschränkungen des Rechtes der Beschäftigten auf die Gründung von und den Beitritt zu Organisationen ihrer eigenen Wahl
- Ungerechtfertigte oder übermäßige Privilegien für bestimmte Organisationen (über prioritäre Vertretung etwa bei Tarifverhandlungen oder Regierungskonsultationen oder bei der Nominierung von Delegierten für internationale Gremien hinaus)
- Um legal zu sein, müssen sämtliche Streiks vom tunesischen Gewerkschaftsbund UGTT genehmigt werden. (Artikel 376 und 387, Arbeitsgesetz)
Beschränkungen des Rechtes der Gewerkschaften auf die Organisation ihrer Verwaltung
- Beschränkungen des Rechtes auf die Wahl ihrer Vertreter/innen und auf ungehinderte Selbstverwaltung
- Wer eine Verwaltungs- oder Führungsposition in Gewerkschaften übernehmen will, muss seit mindestens fünf Jahren die tunesische Staatsangehörigkeit besitzen, mindestens 20 Jahre alt und im Besitz all seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein. (Artikel 251, Arbeitsgesetz)
Gruppen von Beschäftigten, die Gewerkschaften laut Gesetz weder gründen noch beitreten oder ein Gewerkschaftsamt bekleiden dürfen bzw. nur mit Einschränkungen
- Sonstige Berufsgruppen
- Beschäftigte im Alter von 16 bis 18 Jahren können Gewerkschaften nur mit Zustimmung ihres Vaters oder Vormundes beitreten. (Artikel 242, Arbeitsgesetz)
- Ausländische oder Wanderarbeitskräfte
- Ausländische Staatsangehörige können Verwaltungs- und Führungspositionen in Gewerkschaften nur übernehmen, wenn dies vom Staatssekretär für Jugend, Sport und soziale Angelegenheiten 15 Tage vor der Gründung der Gewerkschaft bzw. der Neuzusammensetzung der Führungsgremien genehmigt wurde. (Artikel 251, Arbeitsgesetz)
Tarifverhandlungsrecht
Tarifverhandlungsrecht
Das Tarifverhandlungsrecht ist in der Verfassung verankert.
Das Tarifverhandlungsrecht wird gesetzlich anerkannt, jedoch nicht angemessen begünstigt und gefördert.
Gesetzliche Hindernisse für die Anerkennung von Tarifparteien
- Vorherige Genehmigung oder Billigung der Behörden für Tarifverhandlungen erforderlich
- Wenn ein Tarifvertrag die Beziehungen zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern eines ganzen Wirtschaftszweiges regeln soll, bedarf es der Festlegung seines geografischen und beruflichen Geltungsbereichs durch einen Erlass des Staatssekretärs für Jugend, Sport und soziale Angelegenheiten im Anschluss an Konsultationen mit der Nationalen Kommission für den sozialen Dialog. (Artikel 37, Arbeitsgesetz)
- Keine bzw. willkürliche, unklare oder unsinnige Kriterien für die Bestimmung repräsentativer Organisationen
- Es werden keine Kriterien für die Beilegung von Konflikten im Zusammenhang mit der Repräsentativität einer oder mehrerer Gewerkschaften festgelegt. (Artikel 39, Arbeitsgesetz)
- Fehlen eines unabhängigen Gremiums, das darüber entscheidet, ob eine Organisation tarifverhandlungsberechtigt ist oder nicht
- Konflikte bezüglich der Repräsentativität einer oder mehrerer Gewerkschaften werden durch eine im Anschluss an Konsultationen mit der Nationalen Kommission für den sozialen Dialog erlassene Verfügung des Staatssekretärs für Jugend, Sport und soziale Angelegenheiten entschieden. (Artikel 39, Arbeitsgesetz)
Beschränkungen des Grundsatzes ungehinderter und freiwilliger Verhandlungen
- Verbot oder Einschränkung von Tarifverhandlungen auf bestimmter Ebene (örtlich, regional, national; Betrieb, Industrie, Branche oder allgemein)
- Der Abschluss einer kollektiven Vereinbarung zur Regelung der Beziehungen in einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe ist nicht möglich, wenn bereits ein genehmigter und gültiger Tarifvertrag vorhanden ist, es sei denn, der Staatssekretär für Jugend, Sport und soziale Angelegenheiten ordnet etwas anderes an (Artikel 44, Arbeitsgesetz). Auf diese Weise wird verhindert, dass eine betriebliche Vereinbarung abgeschlossen wird, wenn bereits eine relevante Branchenvereinbarung existiert.
- Befugnis der Behörden oder Arbeitgeber, den Inhalt und den Geltungsbereich von Tarifverträgen einseitig aufzuheben, abzuändern oder auszuweiten
- Der Staatssekretär für Jugend, Sport und Soziales kann von sich aus einen geltenden Tarifvertrag gewähren, verweigern oder aufheben (Art. 38 und 41, Arbeitsgesetzbuch). Die angewandten Kriterien und getroffenen Entscheidungen beruhen auf der Stellungnahme des Nationalen Rates für den sozialen Dialog, einem dreigliedrigen Gremium, das noch nicht funktionsfähig ist.
Beschränkungen des Geltungsbereichs und der Rechtswirksamkeit abgeschlossener Tarifverträge
- Gebilligte Tarifverträge gelten nicht als gesetzlich bindend oder durchsetzbar
- Ein Branchentarifvertrag ist nur dann verbindlich, wenn er vom Staatssekretär für Jugend, Sport und soziale Angelegenheiten nach einer Überprüfung durch die Nationale Kommission für den sozialen Dialog genehmigt wurde. (Artikel 38, Arbeitsgesetz)
- Behördliche Billigung freiwillig abgeschlossener Tarifverträge
- Wird eine branchenweite Vereinbarung nicht genehmigt, ist sie für die Parteien nicht verbindlich. (Artikel 38, Arbeitsgesetz)
Sonstige Beschränkungen
- Sonstige Beschränkungen
- Am 9. Dezember 2021 erließ die Regierung ein Rundschreiben Nr. 20 an alle Ministerien und Regierungsinstitutionen, das Verhandlungen mit den Gewerkschaften ohne die formelle und vorherige Genehmigung des Regierungschefs untersagt.
Streikrecht
Streikrecht
Das Streikrecht ist in der Verfassung verankert.
Das Streikrecht wird gesetzlich anerkannt, unterliegt aber strengen Bestimmungen.
Gesetzliche Hindernisse für rechtmäßige Streiks
- Vorherige Genehmigung oder Billigung der Behörden für einen rechtmäßgen Streik erforderlich
- Um legal zu sein, muss ein Streik vom tunesischen Gewerkschaftsbund UGTT genehmigt werden. (Artikel 376 bis und 387, Arbeitsgesetz)
- Sonstige übertriebene, unsinnige oder ungerechtfertigte Auflagen
- Ein Streik muss zehn Tage im Voraus angekündigt werden, per Einschreiben an die andere Konfliktpartei sowie an die regionale Schlichtungsstelle oder den regionalen Arbeitsinspektor bzw. an die zentrale Schlichtungsstelle oder den Generaldirektor der Arbeitsinspektion, wenn der Streik über die geografischen Grenzen einer Region hinausgeht (Artikel 376 bis und 378, Arbeitsgesetz). Die Streikankündigung muss gleichzeitig per Einschreiben mit Rückschein an die Parteien verschickt werden und folgende Informationen enthalten: Streikort, Datum, Dauer und Grund des Streiks. (Artikel 376 ter, Arbeitsgesetz)
Verbot oder Einschränkungen bestimmter Arten von Streiks
- Beschränkungen hinsichtlich der Art des Streiks (z.B. Streikposten, wilde Streiks, Dienst nach Vorschrift, Sitzstreik, Bummelstreik)
- Wilde Streiks sind laut Arbeitsgesetz rechtswidrig. Um legal zu sein, muss ein Streik vom tunesischen Gewerkschaftsbund UGTT genehmigt werden. (Artikel 376 bis und 387, Arbeitsgesetz)
Übermäßige Eingriffe der Behörden oder der Arbeitgeber während eines Streiks
- Befugnis der Behörden oder Arbeitgeber, einen Streik zu verhindern oder zu beenden, indem der Konflikt einem Schiedsverfahren unterzogen wird
- Der Ministerpräsident kann ein Schiedsverfahren anordnen, wenn ein wesentlicher Dienst betroffen ist. (Artikel 381, Arbeitsgesetz)
- Rückbeorderung von Streikenden an ihren Arbeitsplatz (außerhalb wesentlicher Dienste)
- Beschäftigte können an ihren Arbeitsplatz zurückbeordert werden, wenn ihr Streik die normalen Abläufe eines wesentlichen Dienstes beeinträchtigen würde. (Artikel 389, Arbeitsgesetz)
Bestimmungen, die die Streikmöglichkeiten oder die Wirksamkeit eines Streiks untergraben
- Übermäßige zivil- oder strafrechtliche Sanktionen für Beschäftigte oder Gewrkschaften, die sich an nicht genehmigten Streiks beteiligen
- Ein an einem rechtswidrigen Streik beteiligter Beschäftigter kann fristlos entlassen werden. Wer an einem rechtswidrigen Streik teilnimmt oder zu dessen Fortsetzung ermutigt, während eines rechtswidrigen Streiks Streikposten aufstellt oder betriebseigene Maschinen und Geräte zweckentfremdet und dadurch die Arbeitsabläufe unterbricht oder die öffentliche Ordnung stört, ist mit drei bis acht Monaten Freiheitsentzug und einer Geldbuße in Höhe von zwischen 100 und 500 Dinar zu bestrafen (für Wiederholungsdelikte gilt jeweils das doppelte Strafmaß). (Artikel 387 und 388, Arbeitsgesetz)
- Übermäßige Haftung für durch Streiks verursachte Schäden
- Wer während eines Streiks oder einer Aussperrung betriebseigene Maschinen, Sachgüter, Ausrüstung oder Geräte beschädigt oder versucht, zu beschädigen, ist mit fünf Jahren Freiheitsentzug und einer Geldbuße in Höhe von 240 Dinar zu bestrafen. (Artikel 389, Arbeitsgesetz; Artikel 137, Strafgesetz)
Einschränkungen oder Verbot von Streiks in bestimmten Sektoren
- Willkürliche Festlegung oder übermäßig lange Liste „wesentlicher Dienste“, in denen Streiks untersagt oder stark eingeschränkt sind
- Artikel 381 des Arbeitsgesetzes definiert wesentliche Dienste als Dienste, in denen eine Arbeitsunterbrechung das Leben, die Sicherheit oder die Gesundheit der gesamten Bevölkerung oder eines Teils der Bevölkerung gefährden würde. Ferner heißt es, dass eine Liste der wesentlichen Dienste per Erlass festgelegt werde. Konsultationen müssen nicht stattfinden, und bisher liegt ein solcher Erlass noch nicht vor.
- Fehlen von Alternativen für Gruppen von Beschäftigten, denen das Streikrecht verweigert wird
- Wenn der Konflikt einen wesentlichen Dienst betrifft, kann der Ministerpräsident ein Schiedsverfahren anordnen (Artikel 381 ter, Arbeitsgesetz). Nach der Einleitung des Schiedsverfahrens sind jedoch keine weiteren Garantien bezüglich des zeitlichen Rahmens oder anderer kompensierender Maßnahmen vorgesehen.
Praxis
Der Gewerkschafter Mohamed Romdhani wurde zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, nachdem ihn die Firma Meca-Hertz in Emghira wegen seiner Kommentare in sozialen Netzwerken angezeigt hatte. Nach Angaben des Unternehmens handelte es sich um verleumderische Kommentare. Die UGTT kam Mohamed Romdhani sofort zu Hilfe und bot ihm die Dienste eines Anwalts zur Verteidigung der Gewerkschaftsinteressen an. Angesichts der haltlosen Anschuldigungen wies das Gericht den Fall ab.
Darüber hinaus wurde Khechimi Ben Salem, Generalsekretär der lokalen Gewerkschaft der UGTT in Hamma (Gouvernement Gabes), wegen seiner Teilnahme als Gewerkschaftsvertreter an einer Demonstration gegen die umweltschädlichen Aktivitäten der Fabriken des staatlichen Düngerherstellers GCT in Gabes zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Zu den Protesten hatte die Zivilgesellschaft der Region aufgerufen.
Sonia Jebali, Gewerkschafterin und Gründerin der Union générale tunisienne du travail (UGTT), hat Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden. Die UGTT war bei ihrer Gründung im Jahr 2011 von allen Beschäftigten des Werks Latelec, einer Tochtergesellschaft von Latécoère, Zulieferbetrieb von Airbus und Dassault Aviation, unterstützt worden. Sie hatte unter anderem den zahlreichen gegen die Beschäftigten begangenen Rechtsverletzungen ein Ende gesetzt. Die engagiertesten Gewerkschafter wurden jedoch entlassen, ohne jemals wieder eingestellt zu werden. Seither steht Sonia Jebali in allen privaten Unternehmen des Landes auf einer schwarzen Liste.
Anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts über die Pressefreiheit in Tunesien äußerte der Präsident des Syndicat national des journalistes tunisiens (SNJT), Neji Bghouri, seine Befürchtungen über den Rückgang der Freiheiten in Tunesien. Dem Bericht zufolge waren 200 Journalisten zwischen dem 1. Mai 2018 und dem 30. April 2019 insgesamt 139 Übergriffen ausgesetzt. Darüber hinaus wurden 150 Journalisten entlassen, 400 wurden nicht bezahlt. Nach Ansicht von Neji Bghouri handelt es sich dabei um Bedrohungen der Pressefreiheit, die auch darauf abzielen, die Justiz zu nutzen, um die journalistische Tätigkeit in Tunesien einzuschränken.
Wenige Monate später, im Oktober, beklagte der Vorsitzende der SNJT 79 Verstöße oder Angriffe gegen 76 Journalisten während des tunesischen Wahlprozesses. Insgesamt wurden sieben schwere körperliche Übergriffe, vier verbale Angriffe, vier Drohungen mit Aggression und sieben Fälle von Aufstachelung zu Drohungen gegen Journalisten verzeichnet. Seinen Worten zufolge sind die lokalen tunesischen Medien einer weit verbreiteten Verleumdungskampagne ausgesetzt. Tunesiens neuer Präsident Kaïs Saïed hat seitdem „Respekt für Journalisten und Medienunternehmen“ gefordert.
Die Bewohner der Region Sidi Bouali im Gouvernement Sousse haben einen Generalstreik ausgerufen, um ihre Solidarität mit den Arbeitern der Milchfabrik „Elbene Industries“ zu bekunden, die seit fünf Monaten stillsteht. Dabei wurde die Nationalstraße Nr. 1 von den Demonstrierenden blockiert, und Beschäftigte aus anderen Fabriken der Region schlossen sich ihnen an. Die Demonstration endete mit Zusammenstößen auf der Nationalstraße mit der Polizei, die Tränengas einsetzte.
Anfang Januar kam es in mehreren Städten des Landes und in einigen Vierteln von Tunis zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und den Ordnungskräften. In Tebourba, einer rund 50 Kilometer von der Hauptstadt entfernt gelegenen Stadt, wurde ein Mann am Rande einer Kundgebung gegen die Preiserhöhungen und die Verhärtung der Sparpolitik nach der Verabschiedung des Finanzgesetzes für das Jahr Jahr 2018 getötet. Der Sprecher des Innenministeriums, Khlifa Chibani, sprach von mehr als 200 festnahmen zwischen dem 8. und dem 11. Januar im ganzen Land und von fast 50 Polizisten, die bei den Zusammenstößen verletzt wurden. In Gafsa wurden drei örtliche Gewerkschaftsvertreter, darunter ein Verantwortlicher des Gewerkschaftsbundes Union générale tunisienne du travail (UGTT), festgenommen, aber angesichts der Proteste wieder auf freien Fuß gesetzt.
Walid Zarrouk, Gefängnisaufseher und Mitglied der Polizeigewerkschaft, wurde mehrfach willkürlich inhaftiert und verurteilt, weil er die Vergeltungsmaßnahmen der tunesischen Polizei gegenüber ihren Kritikern verurteilt hatte. Zarrouk wurde von zwei verschiedenen Gerichten im Zusammenhang mit drei unterschiedlichen Vorfällen zu insgesamt zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Am 23. November 2016 hat ihn ein Gericht in Tunis unter Berufung auf Artikel 128 des Strafgesetzbuches wegen eines Fernsehinterviews, in dem er den tunesischen Behörden vorgeworfen hatte, erfundene Anklagepunkte gegen ihre Kritiker vorzubringen, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Noch am selben Tag wurde er von einer anderen Kammer desselben Gerichtes zu acht Monaten Haft verurteilt, weil er den früheren Innenminister in einer Tageszeitung kritisiert und ihm vorgeworfen hatte, dass seine Partei Verbindungen zu einem Terrornetzwerk habe.
Am 7. Februar 2017 wurde er von einem anderen Gericht in Tunis zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, nachdem ihn die gerichtliche Antiterroreinheit angeklagt hatte, weil er auf Facebook den Leiter der Antiterroreinheit der Nationalgarde sowie den Staatsanwalt und den Richter der Einheit kritisiert hatte. Dies sind lediglich die jüngsten Beispiele einer langen Reihe von Prozessen gegen Walid Zarrouk. Am 9. September 2013 hatte ein Untersuchungsrichter seine viertägige Haft angeordnet, weil er auf Facebook die Politisierung der Strafverfolgungsmaßnahmen kritisiert hatte, und im Oktober 2015 wurde er wegen eines negativen Facebook-Beitrages bezüglich eines Staatsanwaltes zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, von denen er zwei verbüßte.
Während des Jahres 2011 hatte die tunesische Übergangsregierung das Pressegesetz sowie das Mediengesetz liberalisiert und die meisten strafrechtlichen Sanktionen für öffentliche Meinungsäußerungen abgeschafft. Dennoch kam es weiterhin zu strafrechtlichen Verfolgungen und Verurteilungen wegen gewaltfreier Reden, weil die Interimsgremien einige diesbezügliche Artikel verschiedener Gesetzestexte nicht geändert hatten, woraufhin seit Dezember 2011 mindestens 16 Menschen wegen angeblich diffamierender Äußerungen gegenüber Einzelpersonen oder staatlichen Institutionen strafrechtlich belangt wurden.
Am 3. März 2016, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, hat der Vorsitzende der tunesischen Journalistengewerkschaft SNJT, Naji Al Gauri, die Verstöße gegen die Pressefreiheit in Tunesien verurteilt, als er den jährlichen Bericht der SNJT über Pressefreiheit vorlegte. Darin werden Verstöße gegen die Pressefreiheit seitens des Parlaments, der Regierung und einiger Beamter hervorgehoben, die die strafrechtliche Verfolgung von Journalisten und einfachen Bürgern gefordert haben. In dem Jahresbericht werden zudem Fälle von tätlicher Gewalt von Mitgliedern der Sicherheitskräfte und des Militärs gegenüber Journalisten dokumentiert und die Behörden aufgefordert, Journalisten besser zu schützen.
Nach dem Selbstmord eines jungen arbeitslosen Tunesiers kam es in dem Land zu politischen und sozialen Unruhen. Junge Menschen gingen auf die Straße, um beschäftigungspolitische Maßnahmen und eine politische Antwort auf die Arbeitslosigkeit zu fordern. Die Arbeitslosenquote liegt im Falle von Akademikern mittlerweile bei 31,2%, und die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 31,8%.
Die Proteste begannen in Kasserine, wo der junge Mann Selbstmord begangen hatte, woraufhin das Innenministerium vorsorglich eine nächtliche Ausgangssperre in der Stadt verhängte. Dennoch wurden die Proteste auch in der Nacht fortgesetzt und in den folgenden Tagen auf andere Städte ausgeweitet, wie etwa auf Tahla, Fernana und Meknasi. Als Reaktion auf die Jugendproteste setzte die Polizei am 19. Januar Tränengas ein, und es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Hunderten Demonstranten.
Nach diesem ersten Protest weiteten sich die Unruhen auf das ganze Land aus und nicht nur arbeitslose junge Menschen nahmen daran teil, sondern auch andere Gruppen von Beschäftigten. Am 25. Januar marschierten mehrere Tausend Polizisten zum Palast des Präsidenten in Karthago, um bessere Arbeitsbedingungen und Gehälter zu fordern. Die tunesische Polizei ist von entscheidender Bedeutung gewesen und stand an vorderster Front, als es darum ging, die militanten Islamisten zu bekämpfen, die während des Jahres 2015 mehrere Kontrollposten der Armee angegriffen hatten. Dennoch wurden ihre niedrigen Gehälter (rund 300 $ pro Monat) nicht erhöht, und auch ihre extrem schlechten Arbeitsbedingungen im Vergleich zu ihren Kollegen beim Militär wurden nicht verbessert.
Die Journalistengewerkschaft SNJT (Syndicat national des journalistes tunisiens) hatte nicht nur mit der Gefährdung der Pressefreiheit zu kämpfen, sondern auch alle Hände voll zu tun, um ihre Mitglieder vor ihren Arbeitgebern zu schützen. Zahlreiche Journalisten wurden während des Jahres 2015 willkürlich entlassen. Angaben der SNJT zufolge arbeiten die Journalisten in einem Klima der Unsicherheit und sind Repressionen und Gefahren ausgesetzt. Nahezu drei Viertel der in den Printmedien tätigen Journalisten fallen unter keinen Tarifvertrag und verfügen über keinen konkreten Arbeitsvertrag.
Nach dem Anschlag bei Sousse am 4. Juli hat der tunesische Präsident einen Monat lang den Ausnahmezustand verhängt. Menschenrechtsorganisationen und die UGTT haben Besorgnis darüber geäußert, dass durch diesen Erlass die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie die Gewerkschaftsrechte beeinträchtigt werden könnten, da die Regierung sämtliche Streiks oder Demonstrationen verbieten konnte, bei denen davon ausgegangen wurde, dass sie eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstellten. Zudem konnte jede Versammlung untersagt werden, von der angenommen wurde, dass sie zu einer Ruhestörung führen würde. Ende Juli wurde der Ausnahmezustand um zwei Monate verlängert. In der Zwischenzeit hat das Parlament ein neues Antiterrorgesetz beschlossen, das die Zivilgesellschaft kritisiert hat, weil es zu Missbräuchen führen könne.
Vor diesem Hintergrund sind die Ordnungskräfte am 1. September in Tunis gegen Demonstranten, vor allem vor dem Sitz der UGTT, vorgegangen und haben sie gewaltsam vertrieben. Einige von ihnen wurden verprügelt, andere verhaftet, wie beispielsweise Lasaad Yakoubi, der Generalsekretär der Sekundarschulgewerkschaft Union des écoles secondaires, oder Nejib Sellami von der UGTT. Nachdem sie eine Stunde lang auf einer Polizeiwache festgehalten worden waren, durften sie wieder gehen. Die Demonstrationen richteten sich gegen den Gesetzentwurf zur wirtschaftlichen und finanziellen Aussöhnung, der eine Amnestie in Korruptionsfällen für diejenigen vorsieht, die sich unter dem System von Ben Ali bereichert haben. Insbesondere die UGTT hatte das Gesetz verurteilt. Zu den gewaltsamsten polizeilichen Übergriffen kam es am 6. September in Sfax. Der Ausnahmezustand wurde am 2. Oktober aufgehoben, am 24. November nach einem erneuten Anschlag mit 12 Toten unter den Mitgliedern der Präsidentengarde in Tunis jedoch erneut ausgerufen. In Tunis und Umgebung wurde zudem von 21:00 Uhr bis 5 Uhr morgens eine Ausgangssperre verhängt.
Am 9. Oktober wurde der Friedensnobelpreis an das tunesische „Quartett“ vergeben, das auf Initiative der UGTT ins Leben gerufen wurde und dem neben ihr auch der tunesische Arbeitgeberverband UTICA, die Tunesische Menschenrechtsliga (LTDH) und die tunesische Anwaltskammer angehören. Diese vier Organisationen wurden für ihre Bemühungen um einen friedlichen Übergang zu einer demokratischen Zukunft für Tunesien sowie um die Verabschiedung einer Verfassung auf der Grundlage der grundlegenden Menschenrechte ausgezeichnet, wobei ein Blutvergießen wie in anderen Ländern während des Arabischen Frühlings vermieden wurde. Die Situation in dem Land war festgefahren, als diese vier Organisationen im Jahr 2013 die Initiative ergriffen und den „nationalen Dialog“ begonnen haben.
Aber es bleibt noch viel zu tun. Aus einem von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Bericht aus dem Jahr 2015 über den sozialen Dialog in Tunesien gehen die Hindernisse hervor, die es zu überwinden gilt, um eine tiefgreifende Reform zu ermöglichen. Unterstrichen wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Bildung und einer an das Produktionssystem angepassten Ausbildung sowie einer besseren Lenkung staatlicher und privater Institutionen.
Das Land leidet unter einer schweren Wirtschaftskrise. Der Tourismus, eine der tragenden Säulen der Wirtschaft, hat durch den Terrorismus immensen Schaden genommen. Berichten zufolge soll die Kaufkraft zudem in vier Jahren seit der Revolution um 40% zurückgegangen und die Zahl der Armen um 30% angestiegen sein. Die Gewerkschaften fordern Lohn- und Gehaltserhöhungen, und die Zahl der sozialen Bewegungen und der Streiks hat zugenommen.
Einige Tage nach der Verleihung des Friedensnobelpreises wurde eine wichtige Sitzung zur Wiederaufnahme des sozialen Dialogs abgesagt, weil der Arbeitgeberverband UTICA fehlte. Die UGTT wurde in den Medien scharf angegriffen und hat daraufhin unterstrichen, wie wichtig es ist, auf nationaler Ebene gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen und die Folgen der Krise nicht allein den Arbeitnehmern aufzubürden.
Im Januar hat die UGTT Drohungen erhalten, die sich gegen ihren Sitz in Tunis und ihren Generalsekretär Houcine Abassi richteten. Im Juli hat Regierungschef Habib Essid Houcine Abassi persönlich vor der Gefahr eines Attentats auf führende Vertreter der UGTT gewarnt. Radikale islamistische Dschihadisten sprechen in den sozialen Netzwerken gewohnheitsmäßig Morddrohungen gegen die UGTT aus, und in den letzten Jahren sind führende Gewerkschaftsvertreter mehrfach bedroht worden. Ende 2014 ist Houcine Abassi nur dank der Wachsamkeit seines Sicherheitsdienstes einem Mordanschlag entkommen.
SEA Latelec Fouchana, ein französisches Unternehmen, das Kabel für die aeronautische Industrie herstellt, hat es weiterhin abgelehnt, die führenden Vertreter des UGTT-Ortsverbandes in dem Betrieb wieder einzustellen. Seit der Gründung der Gewerkschaft Anfang 2012 hat das Unternehmen versucht, sie zu zerschlagen, mit Betriebsschließung und der mehrmonatigen Auslagerung eines Teils der Produktion nach Frankreich gedroht und sich geweigert, die Verträge von mehr als 200 befristet Beschäftigten, hauptsächlich Frauen, zu verlängern. Zehn Beschäftigte wurden entlassen, darunter die beiden führenden Gewerkschaftsvertreter. Im März 2014 wurden sechs der zehn Entlassenen nach einer intensiven Unterstützungskampagne, einschließlich Protestkundgebungen, wieder eingestellt. Bezüglich der anderen vier Entlassenen wurden keine weiteren Fortschritte erzielt, und am 19. Juni 2014 begannen zwei von ihnen einen Hungerstreik, um ihre Rechte einzufordern, darunter die UGTT-Delegierte Sonia Jebali. Am 6. Juli 2014 wurde berichtet, dass sich Sonia Jebali in ernsthafter gesundheitlicher Gefahr befinde. Der Protest wurde sowohl in Tunesien als auch in Frankreich von vielen unterstützt, und im August hieß es auf der Facebook-Seite des Unterstützungsausschusses, dass zwei der vier Entlassenen am 18. August an ihren Arbeitsplatz zurückkehren könnten. Die beiden Hungerstreikenden würden nicht wieder eingestellt, aber ihnen würden sieben Jahresgehälter ausgezahlt.
Am 15. Januar 2015 ging ein anonymer Anruf beim tunesischen Gewerkschaftsbund Union générale tunisienne du travail (UGTT) ein, mit dem die Ermordung ihres Generalsekretärs Houcine Abbasi angedroht wurde. Der Anrufer drohte ferner mit einem Bombenanschlag auf dem Mohammed-Ali-Platz außerhalb des UGTT-Hauptbüros, woraufhin die Sicherheitskräfte umfassende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Am Vormittag des 16. Januar ging eine weitere gegen Houcine Abbasi gerichtete Drohung bei der UGTT ein, mit der die Entzündung einer Autobombe angekündigt wurde.
Die Angriffe und Drohungen gegenüber der UGTT haben in der letzten Zeit zugenommen, vor allem nachdem sie einen Transportarbeiterstreik unterstützt hatte, durch den das öffentliche Verkehrswesen in Tunis vier Tage lang lahmgelegt worden war.
Am 29. Mai 2014 hat die Kommunalarbeitervereinigung für den Fall, dass die Regierung getroffene Vereinbarungen nicht einhält, einen zweitätigen Streik der Müllwerker angekündigt. Naceur Salmi, der Generalsekretär der Vereinigung, erläuterte, dass es bei ihren Forderungen u.a. um die Auszahlung von Zulagen aus dem Jahr 2011, die Aufhebung des Beförderungsstopps für Kommunalbeschäftigte und größere Fortschritte beim gesetzlichen Schutz der Rechte der Kommunalbeschäftigten gehe. Zusammenkünfte mit dem Innenminister zur Beilegung des Konfliktes verliefen ergebnislos. Der Streik fand schließlich am 18. und 19. Juni statt. Es wurden jedoch weitere Zusagen gemacht, die die Regierung wieder nicht einhielt. Darüber hinaus verloren die Beschäftigten als Strafe für den Streik zwei Tageslöhne.
Die Beschäftigten der Keksfabrik Saida in Ben Arous südlich von Tunis haben drei Tage lang die Arbeit niedergelegt, um die Inkraftsetzung des mit der Geschäftsführung im März 2014 unterzeichneten Tarifvertrages zu fordern. Der Ortsverband der Gewerkschaft FGAT-UGTT bei dem Gemeinschaftsunternehmen Mondelez-SOTUBI, dem die Keksfabrik gehört, fordert u.a. unbefristete Arbeitsverträge für Leiharbeitskräfte, die länger als vier Jahre bei dem Betrieb beschäftigt sind, sowie Überstundenbezahlung für die Fahrer. Der dreitägige Streik war nach dem Scheitern der Verhandlungen am 12. Juni 2014 angekündigt worden.
Die Beschäftigten in Freien Exportzonen und Hausangestellte sind nicht tarifverhandlungsberechtigt.
Der Generalsekretär der Union Générale Tunisienne du Travail (UGTT) hat Morddrohungen erhalten. Die Gewerkschaft vermutet dahinter salafistische Gruppen, da sie der UGTT kontinuierlich vorwerfen, die wirtschaftliche Entwicklung zu behindern.
Das Innenministerium untersagt regelmäßig Demonstrationen auf der Avenue Bourguiba in Tunis.
Im Juli 2013 hat die Einsatzpolizei Tränengas eingesetzt, um Hunderte Demonstranten vor dem Innenministerium zu vertreiben. Sie protestierten gegen die Ermordung von Mohamed Brahmi, der Oppositionsführer, Koordinator und Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung und eine führende Persönlichkeit in der Volksfront gewesen war. Chokri Belaid, der Generalsekretär des in der Volksfront zusammengeschlossenen Parteienbündnisses, war am 6. Februar 2013 ebenfalls getötet worden.
Hunderte mit Messern, Stöcken und Molotowcocktails bewaffnete Männer drangen am 4. Dezember in die Büros der UGTT in Tunis ein, als dort eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 60. Jahrestages der Ermordung von Farhat Hached, des Gründers der Gewerkschaft, stattfand. Zehn Menschen wurden dabei verletzt.
Die UGTT vermutet die Liga zum Schutz der Revolution hinter dem Angriff. Obwohl im Dezember 2012 ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, liegt aufgrund des von der Regierungspartei, die an dem Ausschuss beteiligt ist, ausgeübten Drucks bisher kein Bericht vor.