Ungarn

Die Mitgliedsorganisationen des IGB in Ungarn sind die Demokratische Liga Unabhängiger Gewerkschaften (LIGA), die Magyar Szakszervezetek Szövetsége (MSZSZ) und die Nationale Vereinigung von Arbeiterräten (MOSZ).
Ungarn ratifizierte 1957 das Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (1948) und das Übereinkommen Nr. 98 über das Vereinigungsrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen (1949).
Rechtslage
Vereinigungsfreiheit / Vereinigungsrecht
Vereinigungsfreiheit
Die Vereinigungsfreiheit ist in der Verfassung verankert.
Die Vereinigungsfreiheit ist arbeitsrechtlich geregelt.
Gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung
Die Beschäftigten sind vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung nicht ausdrücklich gesetzlich geschützt.
Beschränkungen des Rechtes der Gewerkschaften auf die Organisation ihrer Verwaltung
- Beschränkungen des Rechtes auf die ungehinderte Organisation von Aktivitäten und die Formulierung von Programmen
- Die Abschnitte 8 und 9 des Arbeitsgesetzes verbieten jegliches Verhalten der Beschäftigten, einschließlich der Ausübung ihres Rechts auf Meinungsäußerung - ob während oder außerhalb der Arbeitszeit -, das den Ruf des Arbeitgebers oder seine legitimen wirtschaftlichen und organisatorischen Interessen gefährden könnte, und sehen ausdrücklich die Möglichkeit vor, die persönlichen Rechte der Beschäftigten in dieser Hinsicht zu beschränken. Die Gewerkschaftsarbeit wird durch die Befugnis der nationalen Staatsanwaltschaft, Gewerkschaftsaktivitäten zu kontrollieren, stark eingeschränkt, indem sie beispielsweise allgemeine und Ad-hoc-Beschlüsse der Gewerkschaften überprüft, direkt oder über andere staatliche Stellen Inspektionen durchführt und freien und unbegrenzten Zugang zu Gewerkschaftsbüros erhält; und behauptet ferner, dass die Staatsanwaltschaft in Ausübung dieser weitreichenden Befugnisse mehrfach die Rechtmäßigkeit der Gewerkschaftsarbeit in Frage stellte, zahlreiche Dokumente anforderte (Anmeldeformulare, Mitgliederverzeichnisse mit Original-Mitgliedsanträgen, Sitzungsprotokolle, Beschlüsse, etc. ) und, wenn sie mit der Finanzberichterstattung der Gewerkschaften nicht zufrieden waren, zusätzliche Berichte anordneten, wodurch sie die vom Gesetz vorgesehenen Befugnisse überschritten.
Gruppen von Beschäftigten, die Gewerkschaften laut Gesetz weder gründen noch beitreten oder ein Gewerkschaftsamt bekleiden dürfen bzw. nur mit Einschränkungen
- Ausländische oder Wanderarbeitskräfte
- Nur ungarische Staatsangehörige bzw. ausländische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltserlaubnis, Einwanderungsgenehmigung oder befristeten Aufenthaltsberechtigung können den leitenden Organen einer Gewerkschaft angehören.
Tarifverhandlungsrecht
Tarifverhandlungsrecht
Das Tarifverhandlungsrecht wird gesetzlich anerkannt.
Gesetzliche Hindernisse für die Anerkennung von Tarifparteien
- Übermäßige Bestimmungen bezüglich der Repräsentativität oder Mindestmitgliederzahl von Gewerkschaften mit Blick auf Tarifverhandlungen
- Tarifverhandlungen sind auf Unternehmens- und Industrieebene erlaubt, aber Abschnitt 33 des Arbeitsgesetzes schreibt vor, dass die Gewerkschaften 65% der Beschäftigten (im Falle einer einzigen Gewerkschaft) bzw. 50% der Beschäftigten (im Falle einer Gruppe von Gewerkschaften) vertreten müssen, um Tarifverhandlungen führen zu können. Im öffentlichen Dienst haben Gewerkschaften, die entweder einzeln oder gemeinsam mindestens 25% der Beschäftigten in einer gegebenen Einrichtung vertreten, das Recht, Tarifverhandlungen zu führen, andernfalls muss eine Abstimmung über den Tarifvertrag erfolgen.
Beschränkungen des Grundsatzes ungehinderter und freiwilliger Verhandlungen
- Ausschluss bestimmter Themen von Tarifverhandlungen (z.B. Löhne, Arbeitszeit)
- Im Rahmen eines gesonderten Gesetzes ist es Staatsbediensteten gestattet, über ihre Arbeitsbedingungen zu verhandeln, aber der endgültige Beschluss über Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst ist vom Parlament zu fassen.
Einschränkungen oder Verbot von Tarifverhandlungen in bestimmten Sektoren
- Sonstige Beamte und öffentlich Bedienstete
- Richter, Staatsanwälte, die Feuerwehr und verschiedene Kategorien von Staatsbediensteten, einschließlich Beschäftigten in Ministerien, in der Staats- und der Kommunalverwaltung, sind nicht tarifverhandlungsberechtigt.
Streikrecht
Streikrecht
Das Streikrecht ist in der Verfassung verankert.
Das Streikrecht wird gesetzlich anerkannt.
Bestimmungen, die die Streikmöglichkeiten oder die Wirksamkeit eines Streiks untergraben
- Mögliche Ersetzung von Beschäftigten während eines rechtmäßigen Streiks
- Im Falle eines Streiks dürfen die Arbeitgeber keine neuen Zeitarbeitskräfte einstellen, aber diejenigen, die bereits vor Streikbeginn beschäftigt waren, dürfen weiterarbeiten.
Einschränkungen oder Verbot von Streiks in bestimmten Sektoren
- Übertriebene Beschränkungen für „Staatsbedienstete“
- Die Justiz, die Streitkräfte, die Polizei und die für die nationale Sicherheit zuständigen Dienste sind nicht streikberechtigt. Das Streikrecht der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist eingeschränkt und kann nur im Einklang mit den Sonderbestimmungen wahrgenommen werden, die in einer 1994 von der Regierung und den Gewerkschaften des öffentlichen Sektors unterzeichneten Vereinbarung enthalten sind.
Praxis
Die Demokratische Liga Unabhängiger Gewerkschaften (LIGA) berichtet, dass es seit der Verabschiedung des neuen Streikgesetzes von 2011 immer schwieriger geworden sei, einen Streik zu organisieren, vor allem in Betrieben, die dem öffentlichen Interesse dienen (wie etwa das Verkehrswesen). Der Arbeitgeber und die Gewerkschaft müssen sich auf einen Mindestdienst verständigen, und wenn dies nicht gelingt, wird der Umfang des Mindestdienstes auf gerichtlichem Weg festgelegt, wobei die LIGA anmerkt, dass die Gerichte in dieser Angelegenheit nicht wirklich kompetent sind. Während sich ein Gericht nach dem anderen mit der Frage befasst, verstreicht der Tag, an dem der Streik eigentlich beginnen sollte. Diese Vorbedingung macht es somit sehr schwer für die betroffenen Beschäftigten, die Arbeit niederzulegen.
Der ungarische Gewerkschaftsbund MASZSZ berichtet, dass Edit Juhaszné Kovács, die Gewerkschaftssekretärin der ungarischen Chemiearbeitervereinigung VDSZ beim Betrieb Richard Fritz in Aszód, wegen ihrer Gewerkschaftsaktivitäten im Vorfeld der eine Woche zuvor begonnenen Lohnverhandlungen entlassen worden sei. Frau Kovacs ist die Vorsitzende des Betriebsrates bei dem Unternehmen und gewählte Arbeitsschutzbeauftragte.
Tamás Székely, der VDSZ-Vorsitzende: „In den letzten Monaten wurden mehrere Gewerkschaftsvertreter/innen in Ungarn entlassen. Wir müssen uns dagegen wehren und den Arbeitgebern deutlich machen, dass das inakzeptabel ist. Wir werden nicht zulassen, dass unsere Vertreterinnen und Vertreter gedemütigt und bestraft werden, weil sie sich für die Interessen unserer Mitglieder einsetzen.“ Und Edit Kovács fügt hinzu: „Wir wollen lediglich mit Respekt behandelt werden und dass der Arbeitgeber in guten Glauben mit der Gewerkschaft verhandelt.“
Die Richard-Fritz-Gruppe, die Kfz-Fenster in Betrieben in Deutschland, der Slowakei und Ungarn herstellt, ist eine 100-prozentige Tochter des türkischen Unternehmens Şişecam.
Diese Entlassungen stellen einen flagranten Verstoß gegen das in den IAO-Übereinkommen 87 und 98 verankerte Recht auf Vereinigungsfreiheit und auf Tarifverhandlungen dar. Der IGB hat den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern seine volle Unterstützung zugesagt und die Geschäftsleitung dringend aufgefordert, ihren Beschluss rückgängig zu machen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren, um die Lohnverhandlungen einvernehmlich zu beenden und die Achtung der Gewerkschaftsrechte zu garantieren.
Das Wartungsunternehmen Fővárosi Közterület-fenntartó Nonprofit (FKF) Zrt hat während Lohnverhandlungen vier führende Gewerkschaftsvertreter entlassen, womit eindeutig gegen die grundlegenden Rechte auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen verstoßen wurde, die in den von Ungarn im Jahr 1957 ratifizierten IAO-Übereinkommen 87 und 98 verankert sind. Einer der entlassenen Gewerkschafter, András Király, ist zudem Vorsitzender der Gewerkschaft HVDSZ 2000, die Kommunalbeschäftigte vertritt, wodurch noch deutlicher wird, wie diskriminierend diese ungerechtfertigte und unvermittelte Entlassung war. Das Recht auf Tarifverhandlungen wird durch die innerstaatliche Gesetzgebung bereits in eklatanter Weise untergraben, da nur aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierende Rechte und Pflichten Gegenstand von Verhandlungen sein können. Zudem müssen sie in engem Zusammenhang mit dem Abschluss, der Inkraftsetzung und der Beendigung des Arbeitsvertrages stehen. Die Arbeitgeber sind darüber hinaus befugt, Tarifverträge im Alleingang zu ändern, aufzukündigen und zu verlängern, wodurch der Tarifprozess generell geschwächt und delegitimiert wird.
Die durch das Gesetz über die Zulassung ziviler Organisationen geregelte Zulassung von Gewerkschaften unterliegt nach wie vor äußerst strengen Auflagen und zahlreichen Bestimmungen, die in der Praxis dazu dienen, die Zulassung neuer Gewerkschaften zu erschweren. So müssen die Gewerkschaften etwa beweisen, dass sie das Recht haben, ihre Büros zu nutzen. Auch die Aktivitäten der Gewerkschaften werden dadurch erheblich eingeschränkt, dass die Staatsanwaltschaft gesetzlich befugt ist, sie zu kontrollieren, was so weit gehen kann, dass Beschlüsse der Gewerkschaften überprüft, Inspektionen durchgeführt oder angeordnet werden und sie jederzeit unbegrenzten Zutritt zu den Gewerkschaftsbüros hat. Im Zuge der Wahrnehmung dieser breiten Befugnisse hat die Staatsanwaltschaft mehrfach die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Aktivitäten in Frage gestellt und zahlreiche Unterlagen angefordert, einschließlich Zulassungsbescheinigungen, Mitgliederverzeichnissen mit den ursprünglichen Beitrittsformularen, Sitzungsprotokollen und Beschlüssen. Immer wenn die Staatsanwaltschaft die Finanzberichterstattung von Gewerkschaften für unzureichend befand, hat sie zusätzliche Berichte in Auftrag gegeben und damit ihre gesetzlichen Befugnisse überschritten. In vielen Fällen haben Richter die Zulassung einer Gewerkschaft wegen geringfügiger Fehler auf dem Antragsformular verweigert, oder sie haben Gewerkschaften gezwungen, den Namen des Unternehmens in ihre offizielle Bezeichnung zu integrieren.
Seit dem Beginn seiner Geschäfte in Ungarn hat sich der führende koreanische Reifenhersteller Hankook als unerbittlich gewerkschaftsfeindlich erwiesen. Als der örtliche Gewerkschaftsvorsitzende entlassen wurde, versammelten sich am 4. August 2014 rund 400 VertreterInnen von mehr als 60 ungarischen Gewerkschaften vor dem Betriebsgelände, um gegen die ungerechtfertigte Entlassung zu protestieren. Die über das ungerechte Verhalten von Hankook Tire empörte Chemie- und Energiearbeitervereinigung VDSZ hatte zu einem gemeinsamen Protest aufgerufen, der in der Solidaritätskundgebung der ungarischen Gewerkschaftsbewegung vor dem Fabriktor und Unterstützungsbotschaften aus dem Ausland gipfelte.
Die ’hektischen Entscheidungsprozesse’ von Ministerpräsident Viktor Orbans Regierung und vor allem das neue Mediengesetz standen im Kreuzfeuer der Kritik. Es wurde der Verdacht geäußert, dass die Zahl der Beschäftigten in drei der Organisationen, die reformiert werden sollten (Magyar Televízió, Magyar Rádió und Duna Televízió), bewusst auf 49 begrenzt wurde, um die andernfalls erforderliche Einrichtung von Betriebsräten zu vermeiden.
Die Ende 2010 vom Parlament am Streikgesetz vorgenommenen Änderungen haben dazu geführt, dass Streiks in Betrieben, die grundlegende Dienste für die Bevölkerung erbringen, rechtswidrig sind, wenn sich die beteiligten Parteien nicht auf einen Mindestdienst verständigen. Bei Nichterfüllung dieser Bedingung wird der Umfang des Mindestdienstes auf gerichtlichem Weg festgelegt. Da keine Details vorliegen, herrscht jetzt erhebliche Rechtsunsicherheit.
Zwei Fälle machen dies deutlich:
Im Frühjahr 2011 hat die Busfahrergewerkschaft nach gescheiterten Verhandlungen mit drei Busgesellschaften beschlossen, zum Streik aufzurufen und das Gericht ersucht, den zu gewährleistenden Mindestdienst festzulegen. Das Gericht hat den Antrag der Gewerkschaft seither zwei Mal zurückgewiesen und erklärt, dass die Gewerkschaft ein begründetes Interesse daran habe, dies selbst festzulegen, obwohl das Gesetz eindeutig besagt, dass es einer gerichtlichen Entscheidung bedarf.
Im Juni 2011 plante die Elektrizitätsarbeitergewerkschaft aus Protest gegen mehrere der sozialen und beschäftigungsbezogenen Reformen der Regierung einen Streik. Auch hier stießen die Gewerkschaften auf den Unwillen der Gerichte, den erforderlichen Mindestdienst festzulegen, wodurch ein Streik rechtswidrig wurde.
Bezüglich der Änderungen beim Streikrecht, die auf die Initiative eines einzelnen Abgeordneten zurückgehen und in nur einer Woche vom ungarischen Parlament abgesegnet wurden, sollte zusätzlich angemerkt werden, dass keine vorherige Konsultation der Sozialpartner stattgefunden hat. Die Institutionen des sozialen Dialogs wurden von der neuen Regierung auch in anderer Hinsicht ignoriert: Seit mehr als einem halben Jahr hat die Regierung es versäumt, den Nationalen Rat für den Interessenausgleich einzuberufen, und in einer fragwürdigen Art und Weise – durch Eingaben von einzelnen Abgeordneten als Basis für das Verfahren – wurden weitere Gesetze, die Arbeitnehmerrechte betreffen, ohne Konsultation geändert.
Gewerkschaftsfeindliches Verhalten ist keine Seltenheit. Jedes Jahr gibt es Fälle von Arbeitnehmern, die Gewerkschaftsmitglieder einschüchtern, Gewerkschaftsfunktionäre an einen anderen Posten bzw. Standort versetzen oder entlassen und Gewerkschaften den Zutritt zur Arbeitsstätte verweigern. In Fällen ungerechtfertigter Entlassung gewinnen zwar gewöhnlich die Arbeitnehmer, doch die Gerichtsverfahren dauern vielfach über ein Jahr.
In multinationalen Unternehmen haben die Arbeitnehmer entweder Schwierigkeiten mit der Organisierung und Anerkennung oder sie sind bemüht, die durch Tarifverhandlungen bereits erzielten Ergebnisse zu verteidigen. Flexible Arbeitsverhältnisse verschlechtern die Lage noch: So wird in der Nestlé-Schokoladenfabrik in Miskolc fast ein Viertel der Arbeitnehmer durch Leiharbeitsfirmen gestellt. Diese Beschäftigten können sich nicht einer Gewerkschaft anschließen, ganz gleich, wie oft ihr Arbeitsvertrag verlängert wird.
Nationalem Recht zufolge sind die Staatsanwaltschaften berechtigt, Gewerkschaftsaktivitäten zu überwachen. Die Staatsanwälte dürfen allgemeine und Ad-hoc-Entscheidungen der Organisationen überprüfen, Kontrollen durchführen oder andere staatliche Organe damit beauftragen, und der Zugang zu den Gewerkschaftsbüros muss ihnen gewährt werden.
Es ist vorgekommen, dass Staatsanwälte Kontrollen durchgeführt haben, um „die Gesetzlichkeit der Gewerkschaftstätigkeiten“ zu überprüfen. Die Gewerkschaften wurden aufgefordert, verschiedene Unterlagen vorzulegen, darunter Anmeldeunterlagen, Mitgliedsakten mit den originalen Antragsformularen, Sitzungsprotokolle von Gewerkschaftsorganen und die entsprechenden Beschlüsse, das Hauptbuch, ein Bestandsverzeichnis, Dokumente zu finanzieller Unterstützung (einschließlich nicht erfolgreiche Finanzierungsanträge), Steuererklärungen, Statistiken, Einladungen zu Gewerkschaftsveranstaltungen und dergleichen mehr. Die Vorgehensweise war nicht überall dieselbe, seitens der Staatsanwaltschaft wurde manchmal lediglich eine schriftliche Zusammenfassung über Fragen wie die Mitgliedschaft oder die Finanzlage der Gewerkschaft angefordert.
Es kam vor, dass der Staatsanwalt mit der Rechnungslegung der Gewerkschaft nicht zufrieden war und zusätzliche Berichte anforderte, die weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus gehen. Mitunter mischte sich der Staatsanwalt in rein interne Angelegenheiten ein, wie zum Beispiel die Stimmengewichtung in Gewerkschaftsorganen oder Informationen bezüglich der Beendigung der Mitgliedschaft. Gewerkschaften können gegen Anordnungen des Staatsanwalts vor Gericht Beschwerde einlegen, doch das Verfahren ist langwierig, und in der Zwischenzeit muss die Gewerkschaft in einem Klima der Unsicherheit arbeiten. Gerichtsurteile betreffen jeweils nur spezifische Fälle und verhindern keine künftige Einmischung durch die Staatsanwaltschaft.
Von Gewerkschaftsseite wird gemeldet, dass Richter bei der Anmeldung einer Gewerkschaft häufig zusätzliche Dokumente oder Angaben anfordern, die schwer zu beschaffen und/oder für die Gründung einer Gewerkschaft unnötig sind. In manchen Fällen wurden Gewerkschaften aufgefordert, ihren gesamten Antrag aufgrund irgendeines geringfügigen Mangels neu abzufassen. Zudem wird von Gewerkschaften verlangt, dass sie den Beweis dafür erbringen, dass sie das Gebäude oder die Räumlichkeiten ihres Hauptbüros benutzen dürfen. Wenn die Räumlichkeiten mehreren Personen oder Unternehmen gehören, wird das Verfahren noch komplizierter. Des Weiteren gab es Fälle, bei denen die schriftliche Erlaubnis des Arbeitgebers zur Gründung einer Gewerkschaft angefordert wurde oder der Firmenname Teil des offiziellen Gewerkschaftsnamen sein musste.
Die bürokratische und willkürliche Vorgehensweise des Gerichts führt nicht nur zu Verzögerungen, sondern in manchen Fällen auch zu unüberwindbaren Hürden für die Gewerkschaftsanmeldung: Um die Punkte abzuändern, die durch das Gericht bemängelt wurden, muss oft eine neue Gründungssitzung mit genau denselben Teilnehmern abgehalten werden. Wenn die Gewerkschaft nicht in der Lage ist, eine solche Sitzung innerhalb von 45 Tagen einzuberufen, wird die Anmeldung abgelehnt.
Ferner gab es Fälle, die einer unmittelbaren Einmischung in die Gewerkschaftsverwaltung gleichkommen: Das Gericht wies die Gewerkschaft an, sehr detaillierte Funktionsregeln in den Statuten vorzusehen oder zu definieren, welche Berufskategorien von ihr abgedeckt werden, weil das Gericht andernfalls die Höhe der Mitgliedsbeiträge (1% des Gehalts) als „undemokratisch“ zurückweisen würde.
Berichten des ungarischen Gewerkschaftsbundes MSZOSZ zufolge wird es für Gewerkschaften sehr schwierig, ihre Position zu verteidigen, wenn sie mit der Entlassung eines Vertrauensmannes nicht einverstanden sind und der Arbeitgeber dies vor Gericht anficht. Durch eine 2005 vorgenommene Änderung des Arbeitsgesetzes wurden die den Gewerkschaften obliegenden Beweisanforderungen verringert. Dies hat jedoch bisher noch nicht zu einem wirksameren Schutz von Gewerkschaftsfunktionären geführt.